Die Qualität der Behandlung kann
nicht vom Schicksal abhängen
Fragen an Almut Suchowerskyj, Landesvorsitzende des DDB Niedersachsen, zu
25 Jahre Engagement für Diabetiker in Niedersachsen.
Der Deutsche Diabetiker Bund - Landesverband Niedersachsen feiert sein 25jähriges
Jubiläum. Wenn Sie auf die Anfänge zurückblicken, was hat sich verändert?
Suchowerskyj: Es hat sich eine Menge getan. Zunächst einmal ist der Landesverband
in den letzten 25 Jahren kontinuierlich gewachsen. Wir haben heute deutlich mehr Mitglieder und Bezirksverbände
als damals. Vor allem aber hat sich die Arbeit des DDB-Landesverbandes Niedersachsen gewandelt. Am Anfang waren
die Treffen nicht mehr als ein Erfahrungsaustausch von Betroffenen. Heute stehen die Informationsveranstaltungen,
wie der Niedersächsische Diabetikertag mit Vorträgen, im Vordergrund. Und natürlich hat sich auch
das Leben mit Diabetes in den letzten 25 Jahren deutlich geändert. Neue Therapieformen und die Weiterentwicklung
der medizinischen Möglichkeiten haben dazu geführt, daß Diabetes-Patienten heute nicht mehr ausschließlich
von den Ärzten abhängig sind, sondern eigenverantwortlich mit ihrer Krankheit umgehen.
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Almut Suchowerskyj ist Diplom-Biochemikerin und seit 1997 1. Landesvorsitzende
des DDB-Landesverbandes Niedersachsen e.V. Die selbst von der Krankheit Betroffene kümmert sich seit rund
15 Jahren um die Verbesserung der Schulungsqualität für Diabetiker. |
Was sind die Schwerpunkte der Arbeit Ihres Landesverbandes?
Zunächst einmal ist die Basisarbeit für uns sehr entscheidend. Wir versuchen
an möglichst vielen Orten in Niedersachsen Gruppenangebote einzurichten, die neben grundsätzlichen Informationen
über Diabetes auch über Innovationen in Forschung und Technik informieren und ganz praktische Tips wie
Adressen für Behandlung und Schulung an die Patienten weitergeben. Darüber hinaus organisieren wir Großveranstaltungen
wie den bereits erwähnten Landesdiabetikertag, kümmern uns um die Weiterbildung der Bezirksvorsitzenden
und versuchen neue Mitglieder zu gewinnen. In den letzten zwei Jahren hat der Landesverband Niedersachsen auch
massive Anstrengungen unternommen, das Thema Diabetes und den Umgang damit einer breiten Öffentlichkeit bewußter
zu machen.
Sie sprachen vom Niedersächsischen Diabetikertag als wichtigste Veranstaltung.
Was bringt der Diabetikertag für die Patienten?
Der Diabetikertag, der in diesem Jahr zum 13. Mal stattfindet, ist inzwischen
zu einer ganz bedeutenden Veranstaltung geworden. Neben der Industrieausstellung mit 36 Pharmaunternehmen, die
Neues aus Forschung und Technik präsentiert, werden aktuelle Fragen in den Expertenrunden beantwortet. Der
zentrale Vortrag von Professor Michael Nauck beschäftigt sich intensiv mit dem Motto des Diabetikertages „Ich
bin Profi! Alltag mit Diabetes, kein Problem". Nauck wird darlegen, daß durch den Wandel der Behandlung
in den letzten 25 Jahren ein Diabetiker die Eigenverantwortung für seine Therapie übernehmen kann. Dies
sollte einhergehen mit einem partnerschaftlichen Arzt-Patienten-Verhältnis.
Können Sie diese Wandlung der Behandlung näher erklären?
Vor 25 Jahren haben Diabetespatienten einen mit Vorschriften prall gefüllten
Alltag gelebt. Sie hatten keine Möglichkeit, ihre Krankheit selbst zu kontrollieren, und auch das Wissen um
Diabetes und mögliche Folgeerkrankungen war den Ärzten vorbehalten. Die Einengung hat sich auch mit Hilfe
neuer medizinischer Erkenntnisse gewandelt. Heute kann der Diabetes-Patient seine Blutzuckerwerte selbst kontrollieren
und selbst aktiv zur Vermeidung von Folgeerkrankungen beitragen. Durch unsere Schulungen wissen die Patienten viel
mehr über die Krankheit als früher. Und schließlich hat auch die Medizin eine ganz andere Rolle
eingenommen. Es geht heute nicht mehr um die Reparatur der Beschwerden, sondern vielmehr um Vorsorge. Diese Faktoren
haben die Lebensqualität der Diabetiker nachhaltig verbessert.
Hat sich der Stellenwert der Volkskrankheit Diabetes in der Öffentlichkeit
in den letzten 25 Jahren geändert?
Nein, das ist weiter ein Dilemma. Obwohl Diabetiker ein ziemlich normales Leben
führen, wird das nicht wahrgenommen. Was aber viel schlimmer ist, ist die Tatsache, daß die Volkskrankheit
Diabetes mellitus mit sechs Millionen Betroffenen überhaupt nicht als Volkskrankheit gilt, weil es in der
Öffentlichkeit nicht so präsent ist.
Was bedeutet die Verabschiedung des „Nationalen Aktionsplans Diabetes"
durch den Deutschen Bundestag für Ihre Arbeit?
Wir sind sehr froh, daß der Bundestag diesen Aktionsplan verabschiedet hat.
Es wird so eine bundeseinheitliche Grundlage zur Behandlung von Diabetikern geschaffen. Jetzt muß sich zeigen,
ob dieses Papier nur der Beruhigung des schlechten Gewissens dient oder ob und wie die Vorgaben umgesetzt werden.
Sie fordern flächendeckende Fortbildungsmaßnahmen im Umgang mit
Diabetes für Ärzte. Warum?
Bei anderen Volkskrankheiten wie Allergien haben sich die Ärzte in den letzten
Jahren umfassend weitergebildet. Wer zum Beispiel an Asthma leidet, findet in Deutschland eine flächendeckende
und qualifizierte medizinische Grundversorgung vor. Wir wollen das gleiche auch für die Behandlung von Diabetes
erreichen. Es kann nicht sein, daß die Qualität der Behandlung und Vorsorge von dem Schicksal abhängt,
ob sich der behandelnde Arzt auskennt oder nicht. Grundsätzlich muß es überall in Deutschland eine
ausreichende Anzahl von Fachmedizinern geben, die sich ständig fortbilden, um so die Therapieformen zu verbessern.
Viele Menschen wissen immer noch nicht ausreichend Bescheid über Diabetes.
Wie kann das geändert werden?
Das Grundproblem ist: Viele Menschen wissen noch gar nicht, daß sie an Diabetes
erkrankt sind. Wir müssen die Menschen - egal, ob sie betroffen sind oder nicht - über diese Volkskrankheit
informieren. Und die Ärzte müssen sich intensiver mit dem Thema auseinandersetzen, um so früh wie
möglich zu erkennen, ob jemand an Diabetes leidet. Wenn dann bei jemandem Diabetes diagnostiziert wird, muß
er sofort umfassend geschult werden. Das ist doch auch psychologisch ganz wichtig. Wir sind in der Lage, jedem
neuen Patienten ganz deutlich zu machen, daß Diabetes weder ein Todesurteil ist noch den Ausschluß
vom gesellschaftlichen Leben bedeutet. Der neue Patient muß über die Vermeidung von Folgeerkrankungen
informiert werden, aber eben auch, wie er den Alltag mit Diabetes ganz problemlos gestalten kann.
Die Behandlungsmethoden für Diabetes entwickeln sich immer weiter.
Können Diabetespatienten heute ein „normales" Leben leben?
Ja, das ist mit den modernen medizinischen Mitteln wirklich machbar. Was der Patient
braucht, ist das Wissen über seine Krankheit und das Wissen über Therapie, Ernährung und Selbstkontrolle.
Dann kann er die eigenverantwortliche Führung des Diabetes im Alltag übernehmen.
© Diabetes-Journal 9/2001
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