|
Service
Auf dem Flur fällt mir wieder ein, warum
ich hier bin: Der örtliche Apotheker bietet an, unsere Blutzuckermeßgeräte zu prüfen. Den
Service will ich gerne in Anspruch nehmen, während im Saal noch der Schamane raunt und die Zuhörerschaft
auf die Stühle bannt. Ich komme auch gleich dran und es geht alles sehr schnell. Zu schnell. Am Ende stehe
ich ratlos da: Ohne einen verwendbaren Teststreifen und in tiefem Zweifel an meinem treuen Begleiter.
Ich rekonstruiere den Tathergang später so:
- Mein Testgerät wird äußerlich begutachtet und kommentiert: "Ach ja. Ich muß Sie
jetzt hinweisen darauf, daß es ein neues Modell gibt. 44
- Ich soll den Kalibrierstreifen hergeben. Den hab ich nicht bei mir.
- "Dann nehme ich einfach einen Streifen aus der Apotheke." Nimmt einen Streifen, schaltet das Gerät
ein. Das Gerät schaltet wie vorgesehen auf stur.
- Ich erkläre die Bedienung.
- Der Apotheker folgt der Erklärung und fordert den Blutzoll von mir.
- "Ach, da muß ich das Gerät ja erstmal auf meine Streifen kalibrieren. Das können Sie nachher
bestimmt wieder umkalibrieren, damit es dann mit Ihren Streifen wieder richtig arbeitet. Oben ist ein Kollege von
der Firma, der hilft Ihnen da sicher weiter." Und kalibriert.
- Ich tropfe auf. Neben mir hat inzwischen ein Insasse (Anstaltskleidung Jogginganzug und Pantoffeln) Aufstellung
bezogen und verwickelt den Apotheker in die Frage, wieviel Finger der Mensch habe. Der Apotheker kennt sich aus
und zählt vor: Links 10- 9-8-7-6, dazu die Fünf von rechts, macht elf! Die beiden haben enormen Spaß.
- "Ach ja. Was sagt er denn?" 244 mg. Der Insasse droht zu kollabieren: " Soo viel Zucker?"
Der Medizinmann: "Da habe wir schon viel höhere Werte gemessen!" Mir ist peinlich, daß ich
mich mit solchen Werten der Öffentlichkeit aussetze und augenscheinlich bislang überlebt habe.
- Kontrollmessung. "Können Sie noch einmal?" Er meint auftropfen. Ich kann. Wohin? "Hierher.
Das ist das neue Gerät. Da braucht man jetzt viel weniger Blut. Das sehen Sie schon an der kleineren Auftropffläche."
Ich sehe, daß die Fläche etwa viermal so groß ist wie die auf meinem Teststreifen und tropfe auf.
218mg.
- "Da sehen Sie mal, wie sehr Ihr Gerät abweicht. Da sind ja mindestens" - er sieht seine Assistentin
an "mindestens 24 Prozent, oder?" Die Assistentin nickt unsicher.
- Ich werfe ein, daß es da doch spezielle Prüflösungen gibt, die einen bestimmten Wert ergeben
müssen. "Ah ja!" Entschwindet nach oben. Ich beobachte derweil am Nebenstand einen bärtigen
Finstermann, der am PC ein Programm ablaufen läßt: Diabetes interaktiv. Er starrt unverwandt auf die
Tasten. Ist es ein Kollege oder ein Vorführer?
- Die Kontrollflüssigkeit soll Klarheit bringen, wird aufgetropft und ergibt 288 mg. "Hm. Hm."
- Der Kollege von der "Firma" kommt hinzu und beruhigt mich: "Da müssen Sie sich gar nichts
dabei denken. Was der Herr hier gerade gemacht hat, darf man so nie machen: Zwei Geräte gegeneinander messen
lassen. Da addiert sich die Fehlertoleranz von 15 Prozent zweimal bis zu 30 Prozent. Das macht also gar nichts,
wenn die Werte nicht übereinstimmen. Das darf man nie machen." Ich werfe ein, daß wir die Kontrollflüssigkeit
versucht haben. "Das darf man nie machen! Da müssen Sie erst einmal die Charge genau kennen. Die Werte
stehen auf dem Beipackzettel." Den hat der Apother aber nicht. "Tja, das darf man so nie machen. Sie
müssen immer gegen ein Laborgerät messen!" Das hat der Apotheker auch nicht.
- Ich habe jetzt keine klalibrierten Teststreifen mehr. Den Kalibrierstreifen werfe ich zuhause immer gleich
weg, wenn ich kalibriert habe. "Kommen Sie gleich mal zu mir rauf, ich helfe Ihnen da weiter." Mein Vertrauen
ist nicht sehr groß.
- Ein Leidensgenosse legt sein Meßgerät auf den Tisch und bittet um Prüfung. Der Apotheker führt
den Streifen ein. Der Patient ruft wiederholt: "Andersrum! Andersrum!" Ich gehe nach oben.
Unterwegs freue ich mich über den Stand mit
den neuesten Injektionshilfen meiner Hausmarke. Ich peile begierig die Pens in den aktuellen Herbstfarben an. Beim
letzten Diabetikertag gabs als kleines Bonbon schon einmal einen Austausch-Pen gratis. Die Industrie nennt das
dann einen Abgabeartikel, der die Kundschaft ans eigentliche Produkt Insulin binden soll. Ich zeige mich also interessiert,
aber ich habe Pech. Gerade "meine" Firma hat einen Buchhaltertyp alter Schule entsandt, der mir nur widerwillig
neue Funktionen erklärt und wohl schon ahnt, was ich erwarte. Mich lachen auch die neuen bunten Täschchen
an, in die man seine Pens hüllen kann: Meines ist vom Dauergebrauch schon ergraut. Aber er will und will nicht
verstehen. Vielleicht im zweiten
Anlauf!
Der nette Herr mit den Teststreifen erkennt mich
wieder. "Ach ja, die Teststreifen. Ja, was machen wir da.... Haben Sie jetzt keine Streifen mehr?" Ich
enthülle mein leeres Futteral. "Wissen Sie was, ich geb Ihnen einfach ein paar Streifen." Prima
Idee, denke ich und erhoffe mir einen Vorrat für die nächsten Wochen. Er greift zur Packung - oh, nur
eine 50er-Schachtel. Na immerhin. Aber dann reißt er sie auf und überreicht mir mit verschwörerischer
Geste zehn Streifen. Ich versuche ihm klarzumachen, daß ich auch den passenden Kalibrierstreifen brauche,
da unterbricht er mich und sagt gönnerhaft: "Sie sollen ja keinen Schaden wegen des Gerätetests
davontragen", und lacht jovial. Irgendwie muß ich das alles geahnt haben. Ich war heute morgen in der
Apotheke und habe mir hundert Streifen für einhundertfünfzig Mark gekauft. Ein gutes Gefühl!
Ich halte mich schadlos beim Stand der Konkurrenz,
wo es Traubenzuckerwürfelchen gibt. Aber bei den Pens wollte ich doch noch nachhaken! Da stehen inzwischen
der Buchhalter und zwei Hostessen beisammen, die Kundschaft hat sich verkrümelt. Ich höre nur ein paar
Fetzen: "Das kann ich auf den Tod nicht leiden... knallt mir da seine alten Pens hin und will.... ich bin
ja gar nicht so, aber diese Art..." Man amüsiert sich.
Ich stärke mich mit einer Tasse Kaffee, an
der absolut nichts auszusetzen ist. Ich finde auch ein Bistro-Tischchen, an dem noch ein Kreissegment frei ist.
Hier stärken sich auch die Mütter, aber bevor ich in den Erfahrungsaustausch eintreten kann - ich wollte
in bißchen Insiderwissen über die heimischen Ärzte erhaschen - sind auch schon die Kinder da und
maulen, weil ich ihr Kreissegment belegt habe. Dorthin knallen sie ihre Mineralwasserdosen. Ich entschuldige mich
und strebe dem Ausgang zu.
|
|