Informationsdienst Wissenschaft (idw), 11.11.2003
Weltdiabetestag unter dem Motto "Diabetes und Niere"
Der Weltdiabetestages am 14.11.2003 steht in diesem Jahr unter dem Motto "Diabetes
und Niere".
Disease Management Programme für Diabetes mellitus Typ 2 unterschätzen
das Risiko einer Nierenschädigung und verkennen neuere effektive Behandlungsstrategien.
Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG) unterstützt alle Maßnahmen in unserem Gesundheitssystem, die
zu einer Verbesserung der Versorgung und Betreuung von Menschen mit Diabetes mellitus und seinen schwerwiegenden
Komplikationen führen und gleichzeitig die Kosten stabilisieren. Leider werden die derzeit anlaufenden Disease
Management Programme für Diabetes mellitus Typ 2 (nachfolgend "DMP" bezeichnet) den in sie gesetzten
Erwartungen nicht in allen Punkten gerecht. Die Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Niere der Deutschen Diabetes-Gesellschaft
warnt, dass insbesondere das Risiko einer diabetischen Nierenschädigung (diabetischen Nephropathie) grob unterschätzt
wird und wesentliche therapeutische Ansätze unberücksichtigt bleiben.
Der Konsens über jährliches Nephropathie-Screening wurde aufgekündigt
Die Früherkennung einer diabetischen Nephropathie erfolgt über den Nachweis einer gering erhöhten
Ausscheidung des körpereigenen Eiweißes Albumin im Urin (sogenannte Mikroalbuminurie). Die Mikroalbuminurie
stellt einen zuverlässigen, nicht-invasiven und preiswerten Parameter zum frühen Nachweis der Schädigung
kleiner Blutgefäße der Nierenkörperchen dar. Ähnliche Veränderungen finden sich auch
an anderen Organ-systemen. Auch bei nicht-diabetischen Personen zeigt die Mikroalbuminurie ein erhöhtes Risiko
für Komplikationen des Herz-Kreislauf-Systems an. Es besteht seit Jahren ein wissenschaftlicher Konsens darüber,
dass alle Menschen mit Diabetes mellitus einer jährlichen Mikroalbuminurie-Testung unterzogen werden sollten,
bei Typ 2-Diabetes bereits ab der Diagnosestellung. Dieser Konsens hat in nationale und internationale Empfehlungen
und Diabetes-Leitlinien Eingang gefunden. An dieser Stelle weichen die anlaufenden Disease Management Programme
für Diabetes mellitus Typ 2 deutlich ab: ein Mikroalbuminurie-Screening soll nur bei Menschen mit Diabetes
und bestehender diabetischer Augenhintergrundsschädigung (einer sogenannten Retinopathie) vorgenommen werden.
Dieses Argument, dass nur bei Vorliegen einer Retinopathie eine Mikroalbuminurie nachweisbar sein soll, hält
einer Überprüfung nicht stand. Etwa 20 % aller Patienten mit Typ 2 Diabetes haben eine Nierenschädigung
(Albuminurie) ohne Vorhandensein einer Retinopathie. Der Erkrankungsverlauf dieser Patienten hängt ganz wesentlich
von der fortschreitenden Nierenfunktionsstörung und nicht vom Vorliegen einer Retinopathie ab.
Die Daten der kürzlich fertig gestellten HYDRA (Hypertension and Diabetes Risk Screening and Awareness)-Studie
zeigen unter anderem folgendes:
- · 31 % aller Diabetiker ohne Retinopathie haben eine Mikroalbuminurie
- · 47 % aller Diabetiker mit Retinopathie haben eine Mikroalbuminurie
- · 30 % aller Diabetiker ohne Bluthochdruck haben eine Mikroalbuminurie
Falls ein Mikroalbuminurie-Screening nur bei Diabetikern mit Retinopathie durchgeführt
würde, würde man danach bei ca. einem Drittel aller Typ 2 Diabetiker ohne nachgewiesene Retinopathie
den frühen Nierenschaden nicht rechtzeitig entdecken und somit die dringend erforderliche Intervention ausbleiben.
Das gleiche gilt für Patienten ohne arteriellen Bluthochdruck.
Die Blutdruckziele sind zu hoch angesetzt
Es ist sehr verwunderlich, dass sowohl Empfehlungen in nationalen und internationalen Leitlinien als auch die verfügbare
Literatur bezüglich empfohlener Therapieziele für den Blutdruck bei diabetischen Patienten nicht berücksichtigt
werden. In diesen Quellen wird eine Senkung des Blutdrucks bei Diabetikern mindestens auf Werte von 130/80 mm Hg,
bei Diabetikern mit Nephropathie auf Werte von 120/70 mm Hg gefordert.
Neuere Interventionen werden nicht adäquat berücksichtigt
Für die relativ neue Substanzklasse der Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten liegen inzwischen evidenzbasierte
Daten zur Vorbeugung und Progressionshemmung einer Nephropathie vor, die leider keinen Eingang in das Anforderungsprofil
DMP gefunden haben. Es gibt im übrigen speziell für Patienten mit Typ 2 Diabetes keine großen vergleichenden
Studien zur Therapie des arteriellen Bluthochdrucks mit einer Monotherapie, die einen hohen Evidenzgrad aufweisen.
Obgleich in den "Anforderungen" der antihypertensiven Therapie berechtigterweise eine wesentliche Rolle
zugewiesen wurde und der Blutglukosesenkung eine untergeordnete Rolle, spiegelt sich dies in den vorgegebenen Dokumentationsbögen
nicht wider. Hier wird im Detail nach der blutglukosesenkenden Therapie, jedoch nicht nach den antihypertensiven
Substanzen gefragt.
Die Notwendigkeit zur integrierten Versorgung ist nicht abgebildet
Das komplizierte und komplexe Problem der interdisziplinären Betreuung, das insbesondere in unserem Gesundheitssystem
ungelöst ist, wird in den Anforderungen an strukturierte Behandlungsprogramme für Diabetes mellitus Typ
2 weder in den Prozessen noch in den Dokumentationsbögen abgebildet. Eine ganz wesentliche Kooperation, nämlich
die Kooperation zwischen Hausarzt, Diabetologen und Nephrologen, wird gar nicht erwähnt, obgleich gerade Herz-Kreislauf-Komplikationen
den Erkrankungsverlauf und die Sterblichkeit bei Typ 2 Diabetes entscheidend bestimmen. Die integrierte Betreuung
von Menschen mit Diabetes mellitus mit all ihren Begleit- und Folgeerkrankungen als wesentliche Vorraussetzung
für eine Verbesserung der Versorgungsqualität ist in den anlaufenden DMP somit nicht adäquat abgebildet.
Fazit:
Die Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Niere der Deutschen Diabetes-Gesellschaft sieht in den Disease Management
Programmen prinzipiell eine große Chance, eine Evidenz-basierte, Leitlinien-gestützte medizinische Versorgung
auf breiter Fläche umzusetzen. Damit könnte ein entscheidender Beitrag zur Verringerung des persönlichen
Leides der Betroffenen und zur Einsparung von Ressourcen in unserem Gesundheitssystem geleistet werden. Der Gesetzgeber
ist jedoch dringend aufgerufen, Mängel der Risikostrukturausgleichs-verordnung in der gegenwärtigen Fassung
bei zukünftigen Novellierungen zu beseitigen.
Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Niere
Sprecher: Dr. med. Lüddeke
Chefarzt der Abteilung für Diabetologie und Angiologie,
Krankenhaus Simbach/ Inn,
Plinganserstr. 10
84359 Simbach/Inn
Tel. 08571 980261
Beirat: Dr. med. Hans-Peter Kempe, Dr. med. Ludwig Merker, Dr. med. Wolfgang Piehlmeier, Prof. Dr. med. Pommer
Weitere Informationen finden Sie unter:
http://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/
AWMF - Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
Moorenstr. 5 Geb. 15.12, D-40225 Düsseldorf
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