Hannoversche Allgemeine Zeitung, 03.05.2002 Ein Leben streng nach PlanEines von 600 Kindern in Deutschland leidet an Diabetes. Eine Diagnose, die den Alltag der jungen Patienten und ihrer Eltern schlagartig verändert. Von heute auf morgen müssen die Familien ihr Leben ganz neu organisieren. Eine Mutter und ihr Sohn erzählen.
Daniel ist zehn, und wenn einer zehn ist, dann will er etwas ganz Großes im Leben werden. Formel-1-Rennfahrer oder Extremsportler oder Fallschirmspringer eben. Auch Daniel wünscht sich das, ihn unterscheidet nichts von anderen Kindern. Nur eines vielleicht: Daniel musste früh lernen, Verantwortung für sich und sein Leben zu übernehmen. Daniel hat Typ-1-Diabetes, umgangssprachlich auch „Zuckerkrankheit" genannt. Eines von 600 Kindern in Deutschland leidet an dieser Krankheit. Entgegen der landläufigen Meinung hat sie mit einer falschen Ernährung nichts zu tun. Menschen mit Diabetes fehlt ein Hormon, nämlich das Insulin. Folge dieses Mangels ist eine Stoffwechselstörung: Die mit der Nahrung aufgenommenen Nährstoffe können nicht mehr richtig verwertet werden. Daniel war sieben und ging in die erste Klasse, als seine Mutter bemerkte, dass die Kräfte ihres Kindes mehr und mehr nachließen. Daniel hatte ständig Durst, er stand in der Schule immer wieder auf, um zum Waschbecken im Klassenzimmer zu gehen und aus dem Wasserhahn zu trinken. Die Hausaufgaben strengten ihn über die Maßen an, er spielte kaum noch - und wurde zusehends dünner. Karen Cordioli ging mit ihrem Jungen zum Kinderarzt. Er diagnostizierte eine Stirnhöhlenvereiterung, weil Daniel zuvor an einer langwierigen Erkältung gelitten hatte. Karen Cordioli zweifelte an der Diagnose. Sie habe als hysterische Mutter
gegolten, erzählt sie. Ein Heilpraktiker empfahl schließlich, die Blutzuckerwerte ihres Kindes überprüfen
zu lassen. Die Mutter musste den Kinderarzt nach eigenem Bekunden zu dieser Untersuchung drängen. Bei Menschen
ohne Diabetes liegt der Blutglukosespiegel zwischen 60 und 120 Milligramm pro Deziliter (mg/dl). Bei Daniel lag
der Wert bei weit über 500, wie die Eltern zwei Tage nach der Untersuchung erfuhren. Karen Cordioli rief sofort
im Kinderkrankenhaus auf der Bult an. Der Arzt am Telefon sagte ihr, sie möge ihr Kind umgehend aus der Schule
holen, es ins Auto setzten und vorsichtig ins Kinderkrankenhaus fahren. Daniel und seine Eltern mussten auf einmal lernen, mit der Krankheit umzugehen - und letztlich mit ihr zu leben. Neben allen psychischen Belastungen ist dies vor allem auch ungemein zeitintensiv. Das Kinderkrankenhauses auf der Bult hat in einer gemeinsamen Studie mit der Diplompsychologin Karin Lange von der Medizinischen Hochschule Hannover bundesweit in 580 Familien untersucht, wie sich die Erkrankung auf das Familienleben auswirkt. Die Kinder waren allesamt unter 14 Jahre alt, als die Diagnose gestellt wurde. Das Durchschnittsalter lag bei sieben Jahren, fast die Hälfte der Kinder erkrankte vor dem sechsten Lebensjahr. Die Untersuchung, die kommende Woche bei der Jahrestagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft in Dresden vorgestellt wird, ergab, dass mehr als 30 Prozent der Mütter ihre Berufstätigkeit ganz aufgeben oder zumindest stark einschränken mussten, um die neue Lebenssituation meistern zu können. Bei den Vätern waren es knapp vier Prozent. Neben den Belastungen, die die Krankheit der Kinder mit sich bringt, müssen die Familien mit finanziellen Einschränkungen leben. Karen Cordioli, die auch eine kleine Tochter hat, war noch im Erziehungsurlaub, als Daniel erkrankte. „Furchtbar" nennt sie die Zeit nach der Diagnose. Sie verbrachte damals gemeinsam mit ihrem Kind zwei Wochen im Kinderkrankenhaus auf der Bult. Dort mussten beide lernen, was Diabetes ist und wie mansie behandelt. Sie mussten lernen, wie und wie oft der Blutzuckerwert gemessen wird, wie Insulin gespritzt wird und welchen Einfluss auch die kleinste Zwischenmahlzeit auf den Blutglukosespiegel des Kindes hat. Karen Cordioli lernte auszurechnen, wie viel Kohlehydrate in einem Joghurt, in der Milch, in Kartoffeln oder einem selbst gekochten Ein-topf sind. Daniel bekam einen genauen Ernährungsplan. Das klingt einfacher, als es ist: „Manchmal wollte er etwas essen und durfte nicht, und mitunter musste er essen, obwohl er längst satt war", erzählt die Mutter. „Er hat oft geweint." Heute mag sich Daniel an diese Zeit kaum noch erinnern. Er ist zehn, und wenn einer zehn ist, ist er eigentlich schon ganz schön groß. Kurz nachdem er damals aus dem Krankenhaus entlassen worden war, begann er, sich das Insulin selbst unter die Haut des Oberschenkels zu spritzen. Er habe von Anfang an darauf bestanden, das selbst zu tun, sagt seine Mutter. Heute sind diese Zeiten glücklicherweise vorbei: Daniel hat eine kleine Pumpe am Bauch, mit der er die Insulinzufuhr selbst regeln kann. Und Thomas Danne, Daniels Arzt im Kinderkrankenhaus, lobt den Jungen ein ums andere Mal, wenn er alle vier bis sechs Wochen zu ihm in die Ambulanz kommt. „Warum hast du dir gestern Nachmittag denn so oft Insulin gegeben?", fragt Danne beispielsweise. „Ich war bei einem Kindergeburtstag und habe da Popcorn gegessen", antwortet Daniel und strahlt. „Du machst das hervorragend", sagt Danne - und Daniels Mutter bestätigt das. Tag für Tag. SUSANNE HILDEBRANDT-HEENE
Zahl der Patienten hat sich verdoppelt In den vergangenen zehn Jahren hat sich das Auftreten der so genannten Typ-1-Diabetes mellitus bei Kindern bis 14 Jahren verdoppelt. Es handelt sich um eine Autoimmunkrankheit, bei der es zu einer Selbstzerstörung der insulinproduzierenden Beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse kommt. Die genauen Ursachen dieser Krankheit sind noch nicht vollständig geklärt. Das liege zum Teil daran, dass die Krankheit häufig schon lange vor dem Auftreten der Symptome ohne Beschwerden beginne und durch übliche Laborbestimmungen nicht erkannt werden könne, erklärt der Mediziner Thomas Danne vom Kinderkrankenhaus auf der Bult. Erst wenn weniger als 15 Prozent der Beta-Zellen noch funktionieren, treten die typischen Symptome wie vermehrter Durst, häufiges Wasserlassen, Gewichtsabnahme und Leistungsschwäche auf. Eltern und Kinder können das Auftreten der Krankheit nicht beeinflussen, sie ist auch nicht ansteckend. Auch im Kindes- und Jugendalter werden vermehrt neue Behandlungsverfahren angewandt. Insulin zum Einatmen befindet sich beispielsweise in der klinischen Prüfung. Besonders bei Kindern und Jugendlichen ist nach Angaben von Danne eine sehr individuelle Behandlung erforderlich. An Diabetes erkrankte Kinder werden im Kinderkrankenhaus deshalb von Anbeginn von einem Team betreut, zu dem neben Ärzten und Krankenschwestern auch Emährungsberater, Psychologen und Sozialarbeiter gehören. shi Eltern, deren Kinder an Diabetes erkrankt sind, bekommen bei verschiedenen
Beratungsstellen Unterstützung und Informationen
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© copyright Wolfgang Sander Webmaster@Diabetiker-Hannover.de letzte Änderung: 13.05.2002 |