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Informationsdienst Wissenschaft (idw), 21.03.2006
Diabetes insipidus: der Wasserdiabetes
Unbehandelte Patienten mit Diabetes insipidus scheiden bis zu 20 Liter
Harn pro Tag aus. Dr. Pavel Nedvetsky vom Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie in Berlin erforscht die zellulären Grundlagen
dieses Leidens.
Der Mensch besteht zu ungefähr sechzig Prozent aus Wasser. So ist es
nicht verwunderlich, dass er ein ausgefeiltes System zur Regulierung
seines Wasserhaushaltes besitzt. Eine zentrale Rolle spielt dabei die
Niere. Ist das Regelsystem durch Krankheiten gestört, kann das lebensbedrohliche Auswirkungen haben. Eine diese Krankheiten ist
Diabetes insipidus. Dr. Pavel Nedvetsky erforscht in einer von Enno Klußmann geleiteten Gruppe am
Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) dieses Leiden, auch
Wasserdiabetes genannt.
Bei Diabetes insipidus haben die Nieren der betroffenen Personen die
Fähigkeit verloren, auf das Hormon Vasopressin zu reagieren, das bei
Durst ausgeschüttet wird. Unbehandelte Patientien scheiden dann bis zu
20 Liter Wasser am Tag mit dem Harn aus (siehe auch Hintergrund-Text
unten).
Bei gesunden Menschen kontrolliert das Hormon Vasopressin einen Prozess, bei dem Harn aufkonzentriert und das Wasser daraus
zurückgewonnen wird. Die molekularbiologischen Grundlagen dieses Vorgangs untersucht Pavel Nedvetsky. Um das Wasser zu
"recyclen", müssen Wasserkanäle (Aquaporine) in die Zellmembranen von so genannten
Hauptzellen des Sammelrohrs der Nieren eingelagert werden. Dort findet
die Rückgewinnung statt. Durch die Wasserkanäle kann das Wasser aus
dem Harn in die Zellen und schließlich in das Blut zurückfließen.
Pavel Nedvetsky untersucht die Art und Weise, wie ein bestimmter Wasserkanal (Aquaporin- 2) aus dem Zellinneren zur Zellmembran
gebracht wird. Nedvetsky konnte zeigen, dass das Motormolekül Myosin
Vb den Wasserkanal entlang von faserartigen Strukturen zur Zellmembran
transportiert. Diese Strukturen durchziehen eine Zelle wie ein Netz und werden als Cytoskelett bezeichnet. Es ist aus verschiedenen
Proteinfilamenten aufgebaut. Eines dieser Filamente besteht aus
Aktin.
Das kommt unter anderem auch in Muskeln vor, wo es im Zusammenspiel
mit einem anderen Myosin (Myosin II) für Bewegungen verantwortlich ist. Dabei gehen Myosin und Aktin eine kurzzeitige Verbindung ein -
ähnliches passiert auch beim Aquaporin-Transport.
Myosin Vb sieht aus wie ein Y und kann mit seinen zwei kurzen Enden in
einem Wechselspiel von Lösen und Binden der Myosinfüße an Aktinfilamenten eine Art Laufbewegung ausführen. In der animierten
Darstellung von elektronenmikroskopischen Aufnahmen sieht das aus, als
würde eine Stoppuhr mit zwei Zeigern sehr schnell laufen. Jedes Mal
wenn ein Zeiger die Sechs überschreitet, hat das Molekül einen Schritt
gemacht.
Zum Anknüpfen an Wasserkanäle benutzt Myosin Vb sein drittes Ende.
Aquaporin-2 liegt im Zellinneren in eingepackt in eine Art Bläschen
(Vesikel) vor. Um den Wassertransport aus dem Primärharn zurück in den
Körper zu vermitteln, muss der Wasserkanal aber in die Membran, die
das Sammelrohr vom Primärharn trennt, eingebaut werden. Durch einen
noch nicht näher geklärten Mechanismus binden diese Vesikel an das
Myosin. Sie werden dann bis zum Ende der Aktinfilamente transportiert,
wo sie ihre Fracht an die Zellmembran abliefern. Manchmal übergeben
sie ihre Fracht auch an weitere Transportproteine. Diese können sich
beispielsweise auf den Microtubuli, einer anderen Struktur des
Cytoskelettes, fortbewegen. Wie der Transport hier verläuft, möchte
die Arbeitsgruppe als nächstes klären.
Autor: Thomas Rode
Weitere Informationen
Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie
Dr. Enno Klußmann / Dr. Pavel Nedvetsky
Tel.: 030 / 9 47 93-260 / -259
Mail: klussmann@fmp-berlin.de
nedvetsky@fmp-berlin.de
Web: www.fmp-berlin.de
Hintergrund-Information
Die Nieren filtrieren das Blut mehr als hundert Mal am Tag und wälzen
bis zu 1500 Liter um, wobei rund 180 Liter Primärharn entstehen. Unbrauchbare Substanzen werden mit dem Harn ausgeschieden, brauchbare
Stoffe, wie auch Wasser, zurück in den Körper geleitet.
Das Wasser gelangt über die Wasserkanäle Aquaporin-1 bis -4, die in
bestimmten Zellen des Nierenepithels vorkommen, zurück in das Blut. 90
Prozent dieses Wassertransportes ist konstitutiv, also ständig aktiv.
Das verbleibende Wasser wird durch Aquaporin-2 geleitet. Dieses Aquaporin ist durch das antidiuretische Hormon (Vasopressin) regelbar.
Bei Menschen, die an Diabetes insipidus leiden, können die Nieren das
aus dem Blut filtrierte Wasser nicht in ausreichender Menge zurückgewinnen. Als Folge davon müssen unbehandelte Patienten bis zu
20 Liter Wasser am Tag ausscheiden und haben ständig Durst.
Neunzig Prozent der Menschen, die an Diabetes insipidus erkranken, leiden an einer genetischen Mutation. Sie liegt auf dem X-Chromosom.
Eine solche Schädigung des X-Chromosoms trifft vor allem Männer, die
nur eines davon besitzen. Bei Frauen liegen zwei X-Chromosomen vor. Die Wahrscheinlichkeit, dass beide defekt sind, ist gering.
Bei zehn Prozent der Diabetes-insipidus-Patienten kommt das Aquaporin-2 in einer verkrüppelten Form vor. Er kann nicht in die
Zellmembran integriert werden. Somit kann kein Wasser Vasopressin- abhängig zurückgewonnen werden.
Dieser Text (Autor: Thomas Rode) ist ein Auszug aus dem aktuellen Verbundjournal, der Zeitschrift des Forschungsverbundes Berlin e.V.
(FVB). Das Verbundjournal erscheint vierteljährlich als Printausgabe
und ist auch von den Seiten des FVB herunterzuladen (www.fv-berlin.de). Titelthema der aktuellen Ausgabe ist Forschung mit und
über Wasser. Das Heft kann kostenlos von uns angefordert werden (Mails
bitte an zens@fv-berlin.de).
Das Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) ist ein Institut der Leibniz-Gemeinschaft. Es ist die einzige
außeruniversitäre pharmakologische Forschungseinrichtung Deutschlands
und betreibt Grundlagenforschung zur Identifizierung und Nutzbarmachung potentieller Zielstrukturen für Pharmaka. Die
interdisziplinär angelegte Forschung basiert auf der thematischen Zusammenarbeit und räumlichen Zusammenführung von Medizinern,
Molekularbiologen, Molekulargenetikern, Strukturbiologen und Chemikern
in den verschiedenen Abteilungen und Nachwuchsgruppen des Instituts.
Ziel ist die Entwicklung neuer Konzepte für eine pharmakologische Beeinflussung des
Organismus.
Mehr dazu: www.fmp-berlin.de
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