dpa, 06.07.2001 

Viagra auf Krankenschein

Techniker-Krankenkasse zahlt 66-Jährigem Potenzpille

Als die Potenzpille Viagra vor knapp drei Jahren in Deutschland auf den Markt kam, wurde das Medikament gegen Erektionsstörungen häufig zur sexuellen Wunderdroge hochgejubelt. Das „Ecstasy für Senioren“ bringe ältere Männer beim Sex wieder in jugendliche Topform, hieß es. Die zwischen 18 und 26 Mark teure Pille mussten die geschätzten eine Million Nutzer in Deutschland bisher aus eigener Tasche zahlen.

Über die Frage, ob Krankenkassen für die Kosten des kleinen Erektionshelfers aufkommen müssen, hätte am kommenden Dienstag das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel entscheiden sollen. Doch kurzfristig zog die beklagte Techniker-Krankenkasse gestern ihre Revision gegen eine Entscheidung des Lüneburger Sozialgerichts zurück. Die Kasse erklärte sich bereit, einem 66 Jahre alten Diabetiker mit Erektionsstörungen die Kosten für Viagra zu erstatten – als Einzelfall, wie die Kasse betont.

Eine abschließende Regelung erhofft sich die Hamburger Versicherung nun vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, der sich noch einmal mit der Frage beschäftigen soll. Bislang hatten gesetzliche und private Kassen ein Erstatten von Viagra generell ausgeschlossen. Viagra und andere Potenzmittel seien eine Privatangelegenheit und nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung, hatte der Bundesausschuss 1998 geurteilt.

Nicht zu entscheiden sei außerdem, wie oft impotenten Männern Sex auf Kassenkosten bezahlt werden solle. Griffen alle der schätzungsweise 7,5 Millionen Männer mit Erektionsstörungen in Deutschland zwei Mal pro Woche auf Kassenkosten zu Viagra, drohten je nach Pillenpreis Mehrkosten von 15 bis 25 Milliarden Mark, hatte der Ausschuss berechnet.

Ungeachtet des Erstattungsstreits warnen Sexualtherapeuten vor einer Überschätzung der Potenzpille. Viagra werde zu leichtfertig verschrieben, ohne dass den wahren Gründen für Impotenz auf den Grund gegangen werde, sagt der Diplom-Psychologe Gerhard Kosthöfer von der Sexualberatung Pro Familia, die bundesweit 150 Beratungsstellen betreibt. Impotenz habe häufig keine körperlichen, sondern psychologische Gründe wie etwa Stress oder Unsicherheit. „Sexualität fängt im Kopf an, und nicht jeder Mann ist allzeit bereit.“

Michael Evers und Joachim F. Tornau, dpa


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