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Bremer Nachrichten, 24.07.2001
Die Analyse steht – aber die Gesetze fehlen noch
Ministerin Schmidt will das Gesundheitssystem leistungsfähiger
machen und Sparpotenziale erschließen
Von unserem Korrespondenten Christoph Slangen
Berlin. Der Ruf nach einer schnellen, „großen
Gesundheitsreform“ prallte bisher an der zuständigen Ministerin ab: Sie habe etwas gegen eine „Jahrhundertreform,
denn das Jahrhundert ist noch lang“, wehrte sich Ulla Schmidt noch am Dienstag gegen radikale Rosskuren, die Wirtschaftsminister
Werner Müller ebenso wie die Opposition dem kränkelnden Patienten Gesundheitssystem verschreiben möchte.
Dann in einem Interview plötzlich doch ein Einlenken auf den massiven Druck aus der Koalition. Nun will die
Gesundheitsministerin noch vor der Bundestagswahl die Grundzüge der Reform festzulegen, damit die Bürger
„nicht die Katze im Sack“ kaufen müssten.
Ihre These: Probleme bereiten dem Gesundheitssystem derzeit weder die Alterung der Bevölkerung noch medizinischer
Fortschritt, sondern „mangelnde Qualität gemessen an den Ausgaben“. Über größere Eigenbeteiligung
mehr Geld ins System zu geben möchte die Ministerin genauso vermeiden, wie einen Abbau von Leistungen. Stattdessen
will sie in einer Art kombinierter Therapie das System leistungsfähiger machen und Sparpotenziale erschließen.
Argumentationshilfe verspricht sich die SPD-Politikerin vom zweiten Teil des Gutachtens des Sachverständigenrates,
das im August vorgelegt werden soll. Darin geht es um „Über-, Unter- und Fehlversorgung“. Die Experten wollen
Mängel in der medizinischen Versorgung der Patienten herausarbeiten. Bei der Vorstellung des ersten Teils
hatte die Gutachter-These, die Deutschen bezahlten viel für ihr Gesundheitssystem, bekämen aber nur mittelmäßige
Leistungen, bereits zu einem Aufschrei der Mediziner geführt. Ulla Schmidt macht sich die Argumentation zu
eigen: „Mangelnde Qualität gemessen an den Ausgaben“, sei das Kernproblem. „Zu wenig Zusammenarbeit, Überversorgung
in vielen Bereichen“, diagnostiziert die Gesundheitsministerin Einsparpotenziale in vielen Bereichen. Und sieht
im internationalen Vergleich Mängel am Medizinstandort Deutschland wie eine zu hohe Sterblichkeit bei Schlaganfällen
oder Brustkrebs, oder eine schlechtere Lebensqualität für Diabetiker.
Neben die Beseitigung von Strukturmängeln etwa durch eine bessere Verzahnung von ambulanter Versorgung beim
Arzt und stationärer im Krankenhaus, verspricht sich die Ministerin heilende Wirkung für die prekäre
Finanzlage der Kassen durch mehr „Eigenverantwortung“ der Versicherten. Dabei will sie das nicht als zusätzliche
Eigenbeteiligung an den Kosten verstanden wissen, sondern als Eigenverantwortung „für ein gesundes Leben vom
Kindergarten bis ins hohe Alter“. Mit der richtigen Prävention ließen sich nach Expertenstudien „25
bis 30 Prozent der Kosten sparen“. Auch wenn nur die Hälfte erzielt würde, so die Gesundheitsministerin,
wäre das System stabilisiert.
Die Analyse steht, und weitere Reformschritte will die Ministerin nun „rechtzeitig“ mitteilen, damit die Wähler
wüssten, „was für eine Gesundheitsreform sie nach der nächsten Bundestagswahl erwartet.“ Das Solidaritätsprinzip
als „Lebensader“ der gesetzlichen Krankenversicherung will sie jedenfalls nicht durch Aufsplittung in Grund- und
Wahlleistungen zerstören.
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