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Informationsdienst Wissenschaft (idw), 01.02.2005
Dem Grippe-Virus keine Chance
Besonders jetzt in der kalten Jahreszeit schlagen sie wieder erbarmungslos zu. In überfüllten
Bussen und anderen Orten, wo viele Menschen zusammenkommen, finden die gefährlichen und äußerst
tückischen Erreger leicht ihre Opfer. Eine Ansteckung mit dem Grippe (Influenza)-Virus kann vor allem für
ältere und abwehrgeschwächte Menschen fatale Folgen haben. Allein in Deutschland sind jedes Jahr Tausende
von Todesfällen auf diese Erkrankung zurückzuführen, betont Prof. Dr. Stephan Ludwig. Der Naturwissenschaftler,
der an der Medizinischen Fakultät der Universität Münster zu Jahresbeginn den Lehrstuhl für
Molekulare Virologie am Zentrum für Molekularbiologie der Entzündung (ZMBE) übernommen hat, konzentriert
sich in seinen Forschungsarbeiten unter anderem darauf, die Strategien, wie sich das Virus vermehrt, besser zu
verstehen. Mit diesen Forschungen, bei denen er insbesondere das Wechselspiel zwischen Virus und Wirtszelle im
Blick hat, liefert er gleichzeitig einen völlig neuen Ansatz für die Entwicklung effektiverer Grippemittel.
Nicht nur vor dem Hintergrund der großen Zahl von Menschen, die jährlich mit dem Grippe-Virus infiziert
werden, stellt die Entwicklung wirksamer Präparate zur gezielten Bekämpfung der Erkrankung eine große
Herausforderung dar. Große Sorge bereitet Experten vielmehr auch die mögliche Übertragung von Vogelviren
auf den Menschen. So erinnert Ludwig daran, dass 1997 in Asien mehrere Millionen Hühner getötet wurden,
um nach dem Auftreten von 18 schweren Erkrankungen bei Menschen weiteren Übertragungen von Tier auf Mensch
vorzubeugen. Entsprechende Infektionen können jedoch grundsätzlich jederzeit erneut auftreten. Und dann
womöglich eine echte Bedrohung darstellen. Da Grippe-Viren nämlich die tückische Eigenschaft haben,
immer neue Varianten zu bilden, ist irgendwann auch eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung des ursprünglichen
Vogelvirus nicht mehr ausgeschlossen. Und dann könne es, wie Virologen befürchten, schnell zu einer Pandemie,
das heißt einer weltweiten Verbreitung kommen - ähnlich der Grippe-Pandemie unmittelbar nach dem ersten
Weltkrieg, der rund 40 Millionen Menschen zum Opfer fielen.
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Prof. Ludwig verfolgt einen neuen Ansatz zur Entwicklung effektiverer Grippemittel
Foto: upm |
Ohne ein Schreckensszenario an die Wand zu malen zu wollen, unterstreicht Ludwig doch nachdrücklich die Notwendigkeit
gezielter und vor allem schnell wirksamer Strategien zum Schutz vor Grippe-Viren und ihre durch immer neue Mutationen
entstehenden Varianten. Mit seinen Arbeiten im Bereich der Grundlagenforschung hat er bereits viel versprechende
Ansatzpunkte für die Entwicklung neuer Medikamente geliefert. Alles Weitere ist nicht sein Metier, sondern
Sache der Pharmaindustrie. Die allerdings ist auf den Zug bislang noch nicht aufgesprungen. "Dort herrscht
derzeit große Ernüchterung, weil sich die Erwartungen an die bisherigen Anti-Influenza-Medikamente in
der klinischen Anwendung nicht ganz erfüllt haben", bedauert Ludwig. Mit großen Hoffnungen waren
die Grippemittel Relanza und Tamiflu auf den Markt gebracht worden. Sie sollen das Oberflächenenzym Neuraminidase
hemmen und dadurch einer Verbreitung des Virus im Wirtsorganismus einen Riegel vorschieben. Den erwarteten Durchbruch
in der Grippetherapie haben jedoch weder das oral noch das als Spray verabreichte Präparat gebracht. Denn
bei resistenten Varianten können die Mittel nichts mehr ausrichten.
Anders als die bisherigen Ansätze zur Entwicklung von Grippevirus-Killern setzt Prof. Ludwig nicht beim Virus
selbst an, sondern richtet sein Augenmerk auf die Wirtszellen sprich auf die Lungenepithel-Zellen, wo die Viren
ihr gefährliches Spiel beginnen. Denn ein Virus kann sich nicht aus eigener Kraft vermehren, sondern benötigt
die Hilfe von Wirtszellen, in die es sich wie ein Parasit einnistet. Was liegt also näher, so die Idee Ludwigs,
als eben diese Wirtszellen entsprechend zu beeinflussen. Im Rahmen seiner Forschungen über die Interaktionen
zwischen Virus und Wirtszelle konnte er einen zellinternen Signalweg nachweisen, mit dessen Hilfe das Virus-Genom
nach seiner Vermehrung aus dem Zellkern geschleust wird, um in neue Viruspartikel verpackt zu werden. Experimentell
konnte der Wissenschafter bereits nachweisen, dass die Virusvermehrung tatsächlich blockiert wird, wenn dieser
Signalweg in der Wirtszelle entsprechend beeinflusst wird. Gleichzeitig konnte er zeigen, dass die Bildung resistenter
Varianten auf diese Weise eingeschränkt wird.
Sollte die Pharmaindustrie ihre bisherige Zurückhaltung auf diesem Gebiet überwinden und auf der Grundlage
dieser Forschungsergebnisse doch in die Entwicklung entsprechender Medikamente einsteigen, könnte das eines
Tages einen tatsächlichen Durchbruch in der Grippebekämpfung bedeuten. Denn der Handlungsbedarf ist groß.
Ebenso wie die Behandlung ist nämlich auch die Vorbeugung gegen Grippe bislang noch nicht optimal. Zwar ist
eine vorbeugende Impfung laut Ludwig insbesondere für Risikogruppen nach wie vor der "Goldstandard".
Durch die Einschleppung immer neuer Varianten stößt sie jedoch auch an Grenzen, da sie nur gegen bekannte
Erreger effizient wirkt. Im Fall einer von Asien ausgehenden Vogel-Virus-Pandemie oder der Ausbreitung eines anderen
bislang unbekannten Grippe-Erregers kann jedoch nicht auf die Entwicklung eines neuen Impfstoffes gewartet werden.
"Das dauert mindestens ein halbes Jahr", so Ludwig, "und so lange können wir nicht warten.
Dann werden dringend antivirale Substanzen benötigt, die gegen unterschiedlichste Viren-Varianten wirken."
Weitere Informationen finden Sie unter
http://zmbe.uni-muenster.de/instfrg.htm
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